1. Herr Wendel, wie leben Sie? Wie verbringen Sie Ihre Zeit, wenn Sie nicht für die DGM aktiv sind?
Zusammen mit meinen Eltern und meinem Bruder lebe ich in einem großen und barrierefreien Einfamilienhaus, das sehr gut an unsere behinderungsbedingten Bedürfnisse angepasst ist. Wir sind beide Betroffene der Spinalen Muskelatrophie in weit fortgeschrittenem Stadium und deshalb nicht nur auf einen Elektrorollstuhl und Hilfe bei der Pflege angewiesen, sondern auch auf Unterstützung bei jeder Tätigkeit. Oft leisten dies unsere Eltern, mit denen wir ein glückliches Familienleben führen. Zu einem großen Teil beschäftigen wir aber auch Assistenten, die meinen Bruder und mich pflegen und im Alltag begleiten. Die Pflege und Assistenz organisiere ich selbst.
Seit meinem Abschluss des Psychologie-Studiums im Jahre 2010 investiere ich sehr viel Zeit in „meinen“ Sport: Elektrorollstuhl-Hockey. Dort bin ich nicht nur begeisterter Aktiver, sondern auch engagierter Funktionär: In mehreren Aufgabenbereichen in Verein und nationalem Verband versuche ich, diesen Sport, der Menschen mit Behinderung so viel geben kann, weiterzuentwickeln und bekannter zu machen.
Darüber hinaus bin ich in der Kommunalpolitik sowie als Schöffe aktiv. In meiner Freizeit bin ich sehr gerne an der frischen Luft, treffe mich mit Freunden oder gehe zum Essen.
2. Wie sind Sie zur DGM gekommen und welche Angebote der DGM haben Sie vor Ihrer Tätigkeit genutzt?
Meine Eltern wurden nach meiner Diagnose und der Geburt meines Bruders sehr schnell Mitglied dieser Selbsthilfeorganisation; so bin ich quasi mit der DGM aufgewachsen. Zu meinem Leben gehörten damit von Anfang an zahlreiche Kontakte zu anderen Muskelkranken und dank der Angebote der DGM, die wir wahrgenommen haben (z. B. Symposien, Sommerausflüge, Neujahrscafé…), ergaben sich auch gute Gelegenheiten zum gegenseitigen Austausch.
3. Wie kam es, dass Sie sich entschieden haben, sich ehrenamtlich für die DGM zu engagieren und was motiviert Sie heute für diese Tätigkeit?
Mit dem Älterwerden wurde ich immer mehr zum „Experten in eigener Sache“. In einigen Bereichen (z.B. Beatmung, Rollstuhlsport) merkte ich, dass ich andere Betroffene gut beraten konnte; mir machte es Spaß, ihnen mit meinen Erfahrungen weiterzuhelfen. Mein erstes Projekt in der DGM, ein Seminar zum Thema „Mit Muskelkrankheit Sexualität (er-)leben“, zeigte mir, dass andere Muskelkranke ganz ähnliche Gedanken wie ich haben und mit den gleichen Barrieren zu kämpfen haben. Dennoch kann Jeder dem Anderen in irgendeiner Weise weiterhelfen und der Austausch ist für beide Seiten gewinnbringend. Diese Erfahrung veranlasste mich dazu, auch als Kontaktperson für die DGM aktiv zu sein.
4. Wie können wir uns Ihre Tätigkeit praktisch vorstellen? Welche Aufgaben übernehmen Sie beispielsweise und wie sind die zeitlichen Anforderungen an Sie?
Als Kontaktperson stehe ich zur Verfügung, um Informationen zu bestimmten Themen zu geben und bei Problemen beratend Hilfe zu leisten. Durch meine persönlichen Erfahrungen kann ich im Besonderen bei der Organisation von Pflege und Assistenz, bei Fragen von Ausbildung und Studium, zu Freizeit, Sport und Reisen, sowie bei Themen wie Krankheitsverarbeitung, Partnerschaft und Sexualität beraten.
5. Sicher ist es nicht immer leicht, sich den Anforderungen eines Ehrenamts zu stellen? Worin besteht für Sie die größte Herausforderung bei der Erfüllung Ihrer Aufgaben?
Der Umgang mit einer Behinderung ist weder für direkt noch für indirekt Betroffene einfach. Im Gespräch ist es daher für mich eine große Herausforderung, das richtige Maß an Information für Betroffene zu finden. Zu viele Informationen können überfordern und beunruhigen – andererseits soll jeder die Informationen bekommen, die er braucht. Mir ist wichtig, dass mein Gesprächspartner mir vertrauen kann und sich sicher fühlt.
6. Andererseits vermuten wir, dass die Übernahme von Aufgaben für Andere auch positive Auswirkungen auf Ihre persönliche Entwicklung hatte bzw. hat. Welchen Gewinn ziehen Sie aus dieser Tätigkeit, z.B. für das eigene Leben, den Beruf, Ihre Persönlichkeit?
Es erfüllt mich, anderen Menschen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie ich, weiterzuhelfen und diese auf ihrem Lebensweg zu begleiten. Dies ist meine Motivation für alle meine Ehrenämter.