Sitzung des Zentrums für Neuromuskuläre Erkrankungen Bayern-Mitte am 21.10.2020

Sitzung des Neuromuskulären Zentrums Bayern Mitte
21.10.2020 in Erlangen

Fortbildungsveranstaltung „Neuromuskuläre Erkrankungen“ des
Neuromuskulären Zentrums Bayern Mitte
am 21.10.2020 in Erlangen

Die Sitzung des Neuromuskulären Zentrums findet zweimal im Jahr in der Neurologischen Uniklinik statt, zu der alle kooperierenden Abteilungen und die DGM, Landesverband Bayern e.V., geladen sind. Diese Treffen dienen der Kontaktpflege und dem Austausch. Erfreulicherweise konnte die Veranstaltung unter Einhaltung der geltenden Hygienebedingungen live stattfinden.

Herr Dr. Türk, Leiter des Neuromuskulären Zentrums (NMZ) Bayern Mitte, berichtete, dass die neuromuskuläre Ambulanz im 1. Halbjahr coronabedingt auf die Hälfte heruntergefahren werden musste. Inzwischen herrscht wieder „Normalbetrieb“. Frau Prof. Trollmann, Leiterin der Neuropädiatrischen Abteilung des Sozialpädiatrischen Zentrums der Kinderklinik in Erlangen, beobachtet, dass viele Eltern große Angst hätten, mit ihren Kindern in die Ambulanz zu kommen.

Die Teilnehmenden sind sich einig, dass Videosprechstunden keinen persönlichen Arztbesuch ersetzen können und allen Beteiligten (auch Patientinnen und Patienten und ihren Familien) dadurch hohe organisatorische Belastungen abverlangt werden. Frau Ullrich und Herr Krischer, Vorstandsmitglieder des DGM Landesverbandes, nahmen an der Sitzung teil. Alle Teilnehmenden waren sich einig, dass Patienten und Patientinnen mit neuromuskulären Erkrankungen auch dann einen guten Zugang zu allen medizinischen Einrichtungen haben müssen, falls die Anzahl behandlungsbedürftiger Coronainfizierter wieder stark ansteigen sollte.

Besonders chronisch Kranke, zu denen Betroffene mit neuromuskulären Erkrankungen zählen, leiden unter den psychischen Auswirkungen der Pandemie. Vor allem, wenn Besuche von und bei Therapeuten und Therapeutinnen aber auch der Austausch in Selbsthilfegruppen nicht möglich sind. Ähnliches trifft auf Einrichtungen der Behindertenhilfe und Pflegeheime zu mit der Gefahr der Isolation und Vereinsamung.

Darüber hinaus beobachtet die DGM seit einigen Jahren zunehmend Versorgungsprobleme, besonders in der adäquaten Versorgung mit Hilfsmitteln. Für Menschen, die auf Beatmung angewiesen sind, kann das neue Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG) eine deutliche Gefährdung der selbstbestimmten Lebensführung mit sich bringen.

Alle Teilnehmenden betonten die Notwendigkeit einer noch intensiveren sozialpolitischen Gremienarbeit, um auf die Situation von Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen und ihren Belangen aufmerksam zu machen.

Susanne Werkmeister

Die Neurologische Uniklinik Erlangen bietet in regelmäßigen Abständen Fortbildungen für interessierte Ärzte und Ärztinnen an. Im Oktober standen Neuromuskuläre Erkrankungen im Mittelpunkt:

Zu „Neue Therapien der spinalen Muskelatrophie (SMA) – Chancen und Herausforderungen“ sprach Frau Prof. Trollmann, Leiterin der Neuropädiatrischen Abteilung des Sozialpädiatrischen Zentrums der Uniklinik Erlangen.

Gentherapeutische Verfahren ermöglichen ganz neue Behandlungsansätze bei der 5q-SMA.

Nusinersen wurde in Deutschland 2017 für alle Formen zugelassen. Die Ergebnisse fallen je nach Erkrankungsform und Beginn der Behandlung unterschiedlich aus. Am erfolgversprechendsten schlägt das Medikament bei Kindern an. Die motorische Entwicklung verläuft am besten, je eher mit der Behandlung begonnen wird. Allerdings ist der Beobachtungszeitraum noch relativ kurz und noch kann niemand sagen, wie die Langzeitwirkung sein wird.

2020 wurde in Deutschland Zolgensma zugelassen. Ob eine Behandlung indiziert ist, ist abhängig von der Anzahl an SMN-2-Gen-Kopien. Für ein weiteres Präparat (Ridisplam) wurde die Zulassung bei der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) beantragt. Durch diese neuen Behandlungsoptionen entstehen ganz neue ethische und wirtschaftliche Herausforderungen. Stellungnahmen der DGM und der DGN (Deutsche Gesellschaft für Neurologie) liegen vor, wann die Präparate gegeben werden sollen.

Bisher konnte beobachtet werden, dass die Behandlung erfolgreicher ist, je früher die Therapie einsetzt. Daher wird ein Neugeborenenscreening angestrebt. Aufgrund der kleinen Fallzahlen und der geringen Datenlage ist es wichtig, dass Betroffene in spezialisierten Einrichtungen gut begleitet werden. Die neuromuskulären Zentren können diese Aufgabe leisten.

Herr Dr. Türk, Leiter des Neuromuskulären Zentrums Bayern Mitte, setzte sich in seinem Vortrag „Diagnostik und Therapie der idiopathischen inflammatorischen Myopathien“ mit entzündlichen Muskelerkrankungen auseinander. In den letzten Jahren hat sich in der Diagnostik der Myositiden einiges getan. Inzwischen sind viele unterschiedliche Antikörper bekannt, die bei der Einordnung der Unterform einer diagnostizierten Myositis, die sich sehr akut bemerkbar machen kann, helfen. Zur Diagnostik ist eine Muskelbiopsie nach wie vor von Bedeutung bevor mit einer gezielten Behandlung begonnen werden kann. Für die Therapie kommen vor allem Kortison und das Immunsystem unterdrückende Medikamente in Frage, bei der Einschlusskörpermyositis kann ein Therapieversuch mit Immunglobulinen erfolgen. Allerdings muss immer daran gedacht werden, dass eine exakte Diagnose nur mithilfe der Zusammenschau sämtlicher ärztlicher Befunde möglich ist.

Frau Dr. Kellner, Assistenzärztin der neuromuskulären Ambulanz stellte zwei Fälle vor: „Interessante Fälle aus der neuromuskulären Ambulanz: erworben oder hereditär?“ Auch hier wurde sehr deutlich, dass für die Diagnosestellung neben der klinischen Erfahrung des oder der Untersuchenden viele unterschiedliche Befunde notwendig sind. Dazu gehören im Einzelfall: Befragung des Patienten (Anamnese, auch über die Familie), Art der Beschwerden, spezielle Laborwerte, Kernspinuntersuchung (MRT), Muskelbiopsie, genetische Untersuchungen, das Ansprechen oder fehlendes Ansprechen auf Medikamente (z.B. Kortison).

Susanne Werkmeister